Zum Jahrespreis der deutschen Schallplattenkritik 2020
Dina Ugorskaja ist eine Musikerin der Schweigsamkeit und tiefen Intensität, ernst und leise, traumwandlerisch leuchtend. (…) Ihre verinnerlicht reife Musizierkunst hinterlässt nun eine Spur staunenswerter Aufnahmen – Händel-Suiten, Bachs Wohltemperiertes Klavier, Schumann, späte Sonaten von Beethoven und Schubert. Ihre letzte Aufnahme, Schuberts B-Dur-Sonate aus dem Todesjahr, offenbart ein Erschrecken vor einer visionären Musik der Zerbrechlichkeit wie Zartheit, der Atemlosigkeit, des Stockens und Taumelns: ein Musizieren, das existentiell wird.
Himmlische Längen
Das Schubertspiel Dina Ugorskajas ist bestürzend existenziell, es gehört zum Wahrhaftigsten, das Musiker uns in letzter Zeit übermittelt haben. Aus tiefem Nachdenken und Empfinden heraus Schuberts Ton so nahe zu kommen, sich bewusst an ihn herantasten – nur wenigen Pianisten will gelingen, was Dina Ugorskaja hier erreicht hat.
Ein ausdrucksstarkes Vermächtnis (über die letzte Schubert-Aufnahme)
Ugorskaja spielt, als wolle sie alle Interpretationskonventionen, alles nach außen Gekehrte wegfegen und zur nackten Seele dieser Musik vordringen. Sie war eine Pianistin mit herausragenden Technik und Kraft, die sie jedoch uneitel in den Dienst ihres sehr persöhnlichen Ausdrucks stellte.
Die letzte musikalische Großtat einer wunderbaren Interpretin
Ugorskajas Interpretationen bleiben immer prägnant, einzigartig im Ausdruck, manchmal gnadenlos intensiv, so klar und dann doch nicht zu fassen. Sie schenken dem Hörer ein intensives Erlebnis außerhalb von Raum und Zeit.
Über die Aufnahme von Franz Schuberts «Moments Musicaux»
Dina Ugorskaja “liest diese Musik als wäre es eine Projektion der Partitur – so war es von Schubert beabsichtigt worden. Der Großteil seiner Kompositionen für den Flügel ist nahezu orchestral. Das fantastische Spiel mit dem Tempo – ritardando, accelerando – ist etwas, das nicht beigebracht werden kann. Es muss gefühlt werden. Und das sind die Unterschiede, die die Interpretation großartig machen, wenn die Musik lebendig ist und atmet, oder gestempelt und gewöhnlich lassen, wenn bloß der notierten Metrik gefolgt wird.“
„Ein Heiliger Gesang“ (Zur CD-Einspielung von Beethovens Klaviersonaten op. 106 und op. 111)
…spieltechnisch atemraubend. Und keine Spur von Manierismus oder Willkür… Sie weiß eine erstaunliche Kraft mit zärtlicher Wärme zu vereinen, souverän jedes Detail gestaltend, erzählt sie zugleich immer die ganze Geschichte. Erstaunlich auch die rhythmische Präzision und der Schwung, die Gestaltung des wiederholten Innehaltens und das Aushalten der Widersprüche im Scherzo. Das enorme Adagio sostenuto, nach der Vorschrift „leidenschaftlich und mit viel Gefühl“ zu spielen, möchte man fortan nicht mehr anders hören als so: als einen leuchtenden, heiligen Gesang!
Zur CD-Einspielung von Beethovens Klaviersonaten (op. 90, 101,109, 110)
Dina Ugorskaja versteht es nicht nur im Detail mit wunderbaren Farben zu schattieren und zu modelieren und Spannungsbögen zu halten, sie läßt die große Klangarchitektur entstehen, die diese komplexe Werke erst durchhörbar macht. Sie spielt wirklich in der obersten Liga.
Zur CD-Einspielung vom Wohltemperierten Klavier von J.S. Bach
Historisch informiert, aber voller Anschlagsvielfalt und ohne stil-pädagogischen Zeigefinger, sicher in der Balance von Haupt- und Nebenstimmen, von tänzerischen, choralhaften und bravourös improvisatorischen Passagen, steht der Zyklus wie aus einem Guss da. Man hört sich fest, immer wieder – Besseres hätte dem Klassiker Bach kaum passieren können.
Zur CD-Einspielung vom Wohltemperierten Klavier von J.S. Bach
Dabei fühlt man sich nicht unbedingt als Adressat, sondern als stiller Zuhörer dieser intimen Dialoge zwischen Bach, Gott und dem Universum, denn Dina Ugorskaja bleibt in einer noblen Distanz, die die innere Fragilität ihres Diskurses schützt. (…) Ein beeindruckender Appell an die Freiheit des Geistes.
Zur CD-Einspielung vom Wohltemperierten Klavier von J.S. Bach
Gulda, Gould, Richter, Tureck, Schiff, Hewitt, Fischer – die Liste der Aufnahmen von (…) WTK ist lang. Aber jetzt ist eine hinzugekommen, die ohne Zweifel zu den Besten gehört… …eine der besten Kontrapunktspielerinnen unserer Zeit… Das Geheimnis von Dina Ugorskaja liegt vielleicht darin, dass sie einerseits den spirituellen Gehalt bachscher Musik schon als Kind in sich aufgesogen hat, aber andererseits, wie sie selbst sagt, eben durch die Beschäftigung mit dem WTK geerdet wurde. Den Rest machen Technik, Bildung- und ein Klangvermögen, das einen immer wieder aufs Neue staunen läßt.